Freitag, 5. März 2010

2. Etappe - Begegnungen Vöcklabruck / 5. März 2010


21.15 / Freitag, 5. März 2010 VÖCKLABRUCK - BAHNHOF
Mein Plan ist, das Equipment aus dem Schließfach herauszunehmen und mit dem letzten Zug nach Wels um kurz vor 22.00 Uhr abzufahren. In der Schalterhalle sitzen vier (später sind es fünf) aufgestylte junge Damen, ergriffen vom Fridaynight-Fever. Ich biete ihnen mit meinem aufgesetzten Akademikerhut einen guten Anlass, um über mich zu lachen. Aber das nehme ich gerne in Kauf und spaße mit ihnen. Sie selber möchten auch wissen, was ich da mache. Diese Mädchen warten hier auf das Großtaxi, das sie zum Kkdu, eine Art Disco bringen soll. Als ich ihnen einige Hintergründe über den Bildungsmarsch darlege, bitten sie mich darum ihnen die Blog-Adresse aufzuschreiben. Und da ich gerade so in Fahrt bin nehme ich meinen Skizzenblock zur Hand und zeichne für jede von ihnen ein kleines Marienkäferkunstwerk. Schließlich fasziniert lassen sie sich nun dazu bewegen eine Eintragung in mein Logbuch zu machen. Währenddessen bereite ich schon das Fotoshooting vor, das ich spontan mit ihnen anschließend machen werde. Bereitwillig verkleiden sie sich als Blumenkinder (ich habe Sonnenblumenfühler dabei und dergleichen), wir entfalten das Evolutions-Transparent und bitten einen anwesenden Taxifahrer die Kamera zu bedienen. So wird aus der Wartehalle ein evolutionärer Versammlungsraum. Angesteckt von meinem Enthusiasmus fragen sie mich, ob ich nicht mit ihnen in dieses Diskothek mitkommen möchte. Zuerst bin ich noch unschlüssig, schließlich habe ich eine Wandernacht und einen Wandertag hinter und weitere Wandertage vor mir. Der Zugplan lässt mir nicht lange Zeit zu entscheiden, denn der Zug fährt in ein paar Minuten von Vöcklabruck ab. Ich entscheide mich mitzugehen. Dort angekommen betrete ich erwartungsvoll das Lokal. Sämtliche Augenpaare sind auf mich gerichtet, da ich diesen auffälligen Hut nach wie vor trage. Manche beglückwünschen mich spontan zum Studienabschluss, da sie darin den Grund für die Kopfbedeckung vermuten. Und wieder andere halten mich sogar für einen Maturanten. Feststeht, der Hut hat eine besondere Faszinationskraft. Es dauert nicht lange und flinke Hände schnappen nach meinem Hut und schmückt ein anderes stolzes Haupt. Die Musik ist ohrenbetäubend laut, sofern man sie als solche wirklich bezeichnen kann. Es erinnert mehr an die Geräuschkulisse einer Fabrikshalle. Mit einem jungen Mann entwickelt sich ein gutes Gespräch. Er arbeitet als Lehrling in einem Metallverarbeitungsbetrieb und schildert mit großer Begeisterung wie gut ihm dieser Arbeitsplatz gefällt. Er scheint sich voll mit diesem Betrieb zu identifizieren. Im Gegensatz zu anderen Lehrbetrieben erklärt er mir, bemüht sich sein Dienstgeber ganz bewußt um seine Lehrlinge. Sie setzen auf gute Einschulung, weil sie grundsätzlich nach dem Lehrabschluss sie als ausgebildete Fachkräfte im Betrieb halten wollen. Gegenüber den Bildungsprotesten von Studierenden zeigt er sehr viel Verständnis, da er durch seine studierende Cousine etwas Einblick hat. Die Studiengebühren findet er nicht gerechtfertigt, da er weiß, dass Studierende, wie seine Cousine, meist daneben noch arbeiten müssen. Oft mehrere Jobs nebeneinander. Ein anderer Disko-Besucher interessiert sich auch für mich. Er verdient sein Geld als Montagearbeiter. Er hat weniger Verständnis für die Studierenden. Ihn stört vor allem die Arroganz, mit der manche Akademiker in der Arbeitswelt den Arbeitern gegenüber auftreten. Das Wissen der Arbeiter aus der Praxis scheint für sie nicht von Belang, und das frustriert. Seiner Meinung nach müssten Studierende hinsichtlich eines respektvollen Umgangs gefördert werden. Auf dem Tanzparkett wechselt der Hut von einem Kopf auf den anderen und wird zur Attraktion der Nacht. Das gute Stück, das ich für ein paar Euro in einem Spielzeugladen erworben habe sorgt für Faszintion und Verwunderung. Schließlich verwickelt mich ein älterer Herr ins Gespräch. Er setzt als Architekt Projekte in der ganzen Welt um. Die Uniproteste der Studierenden erachtet er als wichtig. Derzeit plant er für Moskau. Anscheinend hat Putin Moskau zur Großbaustelle erhoben. Es soll ein zweites New York werden, meint der Architekt. Zur Sperrstunde um 4 Uhr gehts dann wieder zum Bahnhof Vöcklabruck. Einige andere von der Disko warten dort auch auf den Zug und ein paar Spaßvögel machen im Passfotoautomaten ein Akademikerhutshooting. Um 6.30 Uhr begebe ich mich endlich zu Bett in meinem Basislager in Wels.

20.45h / Freitag, 5. März 2010 ATTNANG PUCHHEIM
Jetzt bin ich wieder am Bahnhof Attnang Puchheim. Dort komme ich mit einem Mädchen (ca. 17 Jahre) ins Gespräch. Sie findet die Uniproteste wichtig, um dem verstärkten Rechtsruck in Österreich entgegenzuwirken. Um ca. 21.00h steige ich in den Zug nach Vöcklabruck. Ich begegne einem lustigen Trio. Sie sind komplett schwarz gekleidet in ausgeflipptem Gothic-Stile und auf dem Weg nach Salzburg in den Cave-Club. Sie begrüßen meine Aktion und wir schießen ein paar Fotos.

20.25h / Freitag, 5. März 2010 GMUNDEN
Der Zug nach Attnang fährt von Gmunden ab!

18.00h / Freitag, 5. März 2010 ATTNANG - STADTRAND
Bei Einbruch der Dunkelheit taucht endlich die Ortstafel von Attnang auf! Nach einer weiteren halben Stunde erreiche ich das Bahnhofsgelände. Eigentlich möchte ich noch gerne weitermarschieren nach Lambach. Von einem älteren Ehepaar erfahre ich, dass es nach Lambach mindestens noch 3 Stunden Marsch sind. Da ich weiß, dass abends nach 22.00h keine Regionalzüge mehr in Lambach halten, entscheide ich, dass ich heute nicht mehr weitermarschiere. Ich gehe zum Zug. Schon übermüdet passiert mir das Mißgeschick, dass in den falschen Zug einsteige. Anstatt nach Vöcklabruck fährt dieser Zug nach Bad Aussee. Ich fahre bis Gmunden und steige dort aus.

17.27h / Freitag, 5. März 2010 AM RAND VON VÖCKLABRUCK
Auf dem Weg bin ich über eine Jakobsmuschel unabsichtlich gestolpert. Schlagartiger Wintereinbruch, es schneit!

16.30h / Freitag, 5. März 2010 VÖCKLABRUCK - BAHNHOF
Endlich Aufbruch Richtung Lambach! Mein Equipment lasse ich im Schließfach zurück.

16.00h / Freitag, 5. März 2010 VÖCKLABRUCK - BAHNHOF
Begegnung mit einer, wie sich herausstellt, hochgebildeten Dame. Sie unterstützt die Forderungen der Protestbewegung mit vollstem Herzen. Sie ist selber in einer Fachhochschule tätig und weiß wovon sie spricht. Schön, solchen Menschen zu begegnen, denen Bildung ein wirkliches Anliegen ist. Ja, es gibt sie doch!

15.00h / Freitag, 5. März 2010 VÖCKLABRUCK - STADTKERN
Ich sperre den Großteil meines Gepäcks ins Schließfach ein und mache mich auf den Weg in den Stadtkern von Vöcklabruck. Kaufe in einem Fachgeschäft neue Batterien und bin erleichtert, dass die Digicam wieder funktioniert. Gut gelaunt schieße ich gleich ein paar Fotos von den wunderschönen Stadttoren Vöcklabrucks. Lasse mich von einem jungen Mann ablichten. Es stellt sich heraus, dass er Maschinenbauingenieur ist. Dieser befürwortet die Aktion. Aus seiner Sicht gibt es keine Anzeichen, dass die Wirtschaftsrezession überwunden wäre. Ich kehre wieder um zum Bahnhof.

13.00Uhr / Freitag, 5. März 2010 VÖCKLABRUCK - BAHNHOFSHALLE
Ich setze mein Erkennungszeichen den Akademikerhut auf. Sogleich Tuscheln unter vorgehaltenen Händen seitens Menschen in der Bahnhofshalle. Und ich lache über mich selber. Gespräch mit einem Arbeiter. Die Feststellung, dass diese Kopfbedeckung mit Studierenden und Universität in Verbindung gebracht wird löst beinah Entsetzen aus. Abwehrreaktionen. Die ins Stocken geratene Konversation gestaltet sich nach der ersten Schrecksekunde doch noch zu einem wertschätzenden Gespräch. Arbeiter (sinngemäß): "Wenn ihr schon so auftretet [Studierende, Universität] dann solltet ihr auch die Situation der Arbeiter zur Sprache bringen!" Meine Frage: "Wie sieht Ihre Sicht aus?" Arbeiter: "Lohndumping an allen Ecken und Enden ... Arbeit nirgens zu finden. Und wenn man Arbeit gefunden hat, dann bekommt der Mann 1200 Euro, die Frau 950 Euro, und das mit zwei Kindern. Aufgrund vieler ausländischer Arbeitskräfte (der Arbeiter hat vermutlich Migrationshintergrund), die im Land sind, hat der Dienstgeber ein leichtes Spiel, da diese die gleiche Arbeit um den halben Lohn verrichten. Der Überschuß an Arbeitslosen macht es den Arbeitgebern leicht, auch gute Leute mit fundierter Kenntnis um billiges Geld zu finden und hochqualifiziertes Personal zu dumpen. Der Abmarsch verzögert sich. Ich habe Probleme mit meiner Digitalkamera, sie funktioniert nicht.

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